Promotionsprojekt von Alexander Chmelka.
Die COVID-19-Pandemie, möchte man meinen, ist die Zeit der Stubengelehrten, also von der Außenwelt abgeschiedener Wissenschaftler*innen. Die Felderoberer, also jener Schlag von Feldforscher*in, der seinen Untersuchungsgegenständen die Erkenntnisse vor Ort abringt, haben es aufgrund von Kontaktbeschränkungen schwerer.
Beide Extremtypen sind Bewohner*innen der gleichen Heimat – des Elfenbeinturms. Er ist die Stube der Gelehrten, aus deren Schutz heraus sie über die Beschaffenheit der Außenwelt schreiben können, ohne vom Schmutz derselben berührt zu werden. Und er ist das Raubschloss der Eroberer, von dem aus sie ins Feld ziehen und siegreich heimkehren, sobald sie die Daten haben, die sie benötigen. Was alle Elfenbeinturmwissenschaftler*innen gemein haben, ist:
a) Der Unwille, die eigenen Erkenntnisse außerhalb des eigenen akademischen Klüngels einem fachfremden Publikum verständlich zu erklären. Paradoxerweise wird dieses Unvermögen gern als Zeichen von Redegewandtheit und hoher wissenschaftlicher Güte missverstanden sowie als Mittel gegen das Aufkommen von Kritik missbraucht.
b) Das Übertreiben der eigenen Relevanz. Sie beanspruchen Relevanz allein für die Texte, die sie verfassen und nehmen an, dass die Relevanz eines Untersuchungsgegenstandes automatisch auf diese abfärbt.
c) Die Entfremdung der Welt. Die Begriffe und Theorien der Menschen da draußen werden der eigenen Deutungshoheit unterworfen – das nennen sie dann rationalisieren – und die vielfältigen Verbindungen zwischen Menschen, Tieren und Dingen zerstückelt in das Soziale, das Technische und das Natürliche.
Service-Learning scheint ein vielversprechender Ansatz gegen Elfenbeintürme zu sein und verknüpft das akademische Lehren und Lernen mit bürgerschaftlichem Engagement.
Beim Service-Learning geht es darum:
a) Theorien in die Praxis zu übersetzen, sie auf konkrete Probleme anzuwenden oder umgekehrt praktische Erfahrungen mit dem vermittelten Wissen abzugleichen. Da sie das oft in Zusammenarbeit mit Fachfremden tun, müssen sie entsprechend kommunizieren, um verstanden zu werden.
b) einen kleinen Beitrag zu leisten, eigene Ideen einzubringen und auszuprobieren, etwas praktisch und direkt zu verändern. Da es sich nicht um simulierte und geschützte Lernumgebungen handelt, werden die Beteiligten schnell mit unerwarteten Herausforderungen und Konflikten konfrontiert, die es zu lösen gilt, bevor das „eigentliche“ Projekt weitergeführt werden kann. Von anfänglich großen Ideen bleiben kleine Erfolge übrig.
c) sich der vielfältigen Welt anzunähern. Um z.B. ein Leseprojekt für Grundschüler*innen zu organisieren, muss man Lehrer*innen, Eltern, Bücher, Lesetheorien, Räume, Sitzgelegenheiten, Stifte, Getränke, Fotoapparate und Datenschutzerklärungen in besonderer Weise zusammenbringen, damit das Projekt gelingt. Die Güte des Kaffees kann dabei ähnlich entscheidend sein wie die Frage, ob das Stufenmodell nach Dehn oder nach Valtin zur Grundlage genommen wird.