Rückblick zum „Kaminabend“ mit Jan-Martin Wiarda
Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus werden immer wieder als Antagonisten verhandelt. Auslöser dafür sind vermutlich der verstärkte öffentliche Fokus auf Wissenschaftskommunikation (auch auf Ebene der Politik), die zunehmenden Mittel für Ausschreibungen im Bereich der Wissenschaftskommunikation und die Professionalisierung der Kommunikationsabteilungen von Hochschulen und Fördereinrichtungen.
Während die Wissenschaftskommunikation also (theoretisch) floriert, wird es für den Wissenschaftsjournalismus immer schwieriger. Durch den Stellenabbau bei Zeitungen schrumpfen Ressorts, werden Aufträge für freie Journalist*innen immer knapper – insbesondere im Bereich des Wissenschafts- und Bildungsjournalismus. Ist die Wissenschaftskommunikation also mit verantwortlich für diese Entwicklung, weil sie große Teile nun selbst übernimmt?
Nein, schrieb Jan-Martin Wiarda schon 2015 auf seinem Blog über seine Stellungnahme für den Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung:
„Der Aufwind der Wissenschaftskommunikation und die Krise des Wissenschaftsjournalismus sind nicht ursächlich miteinander verbunden, auch wenn viele dies behaupten. Wohl aber liegt beiden dieselben Ursachen zugrunde: die Digitalisierung und der Boom der Social Media.“
Fünf Jahre später ist Wiarda der erste Gast beim „Kaminabend“ unseres Graduiertenkollegs – Corona-konform selbstverständlich im virtuellen Kaminzimmer (nicht, dass wir ein reales vorweisen könnten). Der freiberufliche Wissenschafts- und Bildungsjournalist, Moderator und Blogger ist der perfekte Kandidat für diesen Eröffnungsabend, da er sich seit vielen Jahren mit Fragen rund um die Themen unseres Kollegs auseinandersetzt: von Wissenschaftskommunikation und -politik bis zu Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Wissenschaftssystem-entwicklung.
Und auch nach fünf Jahren war die Differenzierung zwischen Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus eins der zentralen Themen – das außerdem einige der Kollegiat*innen über die Veranstaltung hinaus beschäftigte und dem deswegen der Fokus dieses kleinen Berichts gilt. Aber was ist nun eigentlich der Unterschied zwischen beiden?
Unabhängigkeit, professionelle Standards, Transparenz (z. B. in Bezug auf die Frage der Finanzierung), das Recherchieren unterschiedlicher Quellen und Einbeziehen verschiedener Perspektiven sowie eine kritische Distanz zum Gegenstand zeichnen den Wissenschaftsjournalismus aus, so Wiarda. Wissenschaftskommunikation, die von Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen betrieben wird, sei immer relativ nah am Management oder der Hochschulleitung. Die Kommunikator*innen auf solchen Stellen seien abhängig von der Einschätzung der Leitungsebene – die wiederum selbst stark interessengeleitet ist, sei hier ergänzt. Bei der Kommunikation für eine Organisation komme erschwerend hinzu, dass alle vermittelten Inhalte auch als Standpunkt der gesamten Einrichtung verstanden werden können, so dass Kommunikator*innen oft sehr vorsichtig agieren müssen.
„Keine Hochglanzbroschüren mehr“ – dieses Statement blieb einigen Kollegiat*innen im Kopf und spielt auch auf die Debatte um die Abgrenzung von Wissenschaftskommunikation, Wissenschafts-PR und -marketing an. Vielmehr sollen sich Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen kritisch mit Belangen auseinandersetzen, die die Gesellschaft wirklich interessieren und für sie relevant seien, führte Wiarda während der lebhaften Diskussionsrunde aus. Wenn man dieser Überlegung folgt, wie nah rückt dann aber die Wissenschaftskommunikation, etwa aus Hochschulen heraus, an den Wissenschaftsjournalismus?
Man kann an dieser Stelle aber auch fragen, ob sich beides ausschließen muss. Zeugt eine Hochglanzbroschüre wirklich automatisch von einem Mangel an inhaltlicher Auseinandersetzung? Kann die Broschüre (im Idealfall allerdings auf mattem Papier) nicht auch für eine ganz bestimmte, etwa wissenschaftsinterne Zielgruppe Informationen kondensieren, und gerade bei einem sehr komplexen Projekt oder Institut erst einmal über seine Inhalte informieren? Diese können dann wiederum neu aufbereitet an eine andere, eher wissenschaftsexterne Zielgruppe vermittelt werden.
Sowohl Wissenschaftskommunikation als auch Wissenschaftsjournalismus müssen letztlich aufmerksamkeitsökonomisch agieren – eine Gemeinsamkeit beider Sphären. Beide richten sich an eine potentielle Rezipient*innenschaft und zielen auf Interesse und Sichtbarkeit ab. Die Motive können dabei unterschiedlich sein, müssen es aber nicht – es kann sehr unabhängige Wissenschaftskommunikator*innen in Einrichtungen geben (wie Wiarda es während seiner Helmholtz-Zeit selbst eher war), oder auch Journalist*innen, die die professionellen Standards nicht in dem Maße einhalten, wie sie es ihrem Berufsethos zufolge eigentlich müssten. Unabhängig von solchen individuellen Ausprägungen bleibt es aber natürlich ein strukturelles und systemisches Problem für die unabhängige Berichterstattung über Wissenschaft, dass der Wissenschaftsjournalismus in den Redaktionen immer randständiger wird und die Zahl der freien Wissenschaftsjournalist*innen kontinuierlich sinkt.
Auch aus dem Jahr 2015 stammt ein Vorschlag Wiardas, den Wissenschaftsjournalismus, wie die Wissenschaftskommunikation, stärker finanziell zu fördern, etwa auf der Grundlage eines Stiftungsmodells, um seine Unabhängigkeit zu wahren. Fünf Jahre später gibt es nach wie vor keine erkennbaren Bemühungen um eine derartige Förderung. Dass sie wichtig wäre, verdeutlicht nicht zuletzt Wiardas Beschreibung seiner eigenen Motivation: Unabhängigkeit bewahren, sich nicht instrumentalisieren lassen, immer auch nach Unterlagen und Dokumenten fragen, Diskurse und Debatten möglichst gut und differenziert beschreiben, Information nicht verfälschen oder beschönigen. Wir konnten an diesem Abend sehr von diesen Leitgedanken profitieren, und Jan-Martin Wiardas Leser*innen können das sicherlich bestätigen.
Wir danken ihm hiermit noch einmal ganz herzlich für seine Zeit und seine Offenheit und freuen uns auf weitere, hoffentlich ebenso anregende Kaminabende.